III. Der Mond nach Keplers Beschreibungen und in Wirklichkeit

  • Die Reise:
    Lange vor dem ersten Raketenstart oder dem Flug eines Flugzeugs, zu Zeiten von Segelschiffen und ungenau schießenden Kanonen, schildert Kepler einen kraftbetriebenen zielgerichteten Flug auf den Mond: „er wird gerade so emporgeschleudert, als wenn er durch die Kraft des Pulvers gesprengt über Berge und Meere dahin flöge“. 
    Er beschreibt den Mondflug mit all seinen Problemen recht realistisch. So hat er schon damals die wichtige Belastungsfähigkeit eines Astronauten erkannt: „Keinen von sitzender Lebensart, keinen Wohlbeleibten, keinen Wollüstigen“ könne man mitnehmen. Und auch die physischen Belastungen waren ihm klar: „deshalb muss er zuvor durch Opiate betäubt und seine Glieder sorgfältig verwahrt werden, damit sie ihm nicht vom Leibe gerissen, vielmehr die Gewalt des Rückschlags in den einzelnen Körpertheilen vertheilt bleibt.“ 
    Auch eine Luftveränderung kalkulierte er mit ein: „Sodann treffen ihn neue Schwierigkeiten: ungeheure Kälte sowie Athemnot.“ 
    Daraufhin scheint er die Schwerelosigkeit zu beschreiben: „Wenn der erste Theil des Weges zurückgelegt ist, wird uns die Reise leichter, dass geben wir unsere Begleiter frei und überlassen sie sich selbst: wie die Spinnen strecken und ballen sie sich zusammen und schaffen sich durch ihre eigne Kraft vorwärts, so dass schliesslich ihre Körpermasse sich von selbst dem gesteckten Ziele zuwendet.“ 
    Gravitation und damit verbundene Landeschwierigkeiten waren Kepler ebenfalls bereits bewusst: „Aber infolge der bei Annäherung an unser Ziel stets zunehmender Anziehung würden sie durch zu hartem Anprall an den Mond Schaden leiden“. 
    Nur mit einer Dauer von höchstens vier Stunden war er wohl etwas zu optimistisch...
  • Die Größe:
    Hier wusste Kepler genau Bescheid: „ungefähr 1400 deutsche Meilen im Umfang, d.h. nur den 4. Theil unserer Erde“, lautete seine Prognose. Heute weiß man, dass der Mond einen Durchmesser von rund 3480 Kilometern (also U = 10932,74 km = 1451 Meilen) hat, was rund einem Viertel des Erddurchmessers entspricht.

 

  • Die Einteilung des Mondes in Gebiete: 
    „So besteht Levania aus zwei unveränderlichen Hemisphären: aus einer der Erde zugewandten, der subvolvanen und einer der Erde abgewandten, der privolvanen; die erste sieht fortwährend ihre Volva, die für sie die Stelle unseres Mondes vertritt, die letzte aber ist ewig des Anblickes der Volva beraubt. Und der Kreis, derErde Mond diese beiden Hemisphären theilt, geht nach Art unserer Kolur der Solisten durch die Pole der Welt, und wird Divisor genannt. [...] es gibt auch in der Mitte zwischen den Polen einen Kreis, der mit unserm Aequator verglichen werden könnte [...] Zweimal schneidet er den Divisor und den Medivolvan und zwar in gegenüberliegenden Punkten.“ 
    Hierin wird unter anderem auch die korrekte Tatsache deutlich, dass der Mond auf Grund seiner Rotation um die eigene Achse der Erde immer dieselbe Seite zukehrt.
  • Das Klima:
    Mehrfach erwähnt Kepler extreme Temperaturen: „die Sonne, die mit voller Gluth hervorbricht“ oder: „...starrt Alles von Eis und Schnee unter eisig wütenden Winden. Dann folgt ein Tag [...] während welchem unaufhörlich eine vergrösserte und nur langsam von der Stelle rückende Sonne herniederglüht, deren sengende Wirkung durch keine Winde gemildert wird.“ oder: „...einmal eine unerträgliche Hitze, wohl 15mal so glühend, wie die in unserm Afrika, und dann wieder eine Kälte unerträglicher wie irgendwo auf Erden.“ Und tatsächlich: Die Temperaturen auf der Mondoberfläche schwanken extrem. Sie betragen maximal 127 °C bei voller Sonneneinstrahlung und minimal -173 °C auf der Nachtseite kurz vor Sonnenaufgang. 
    Außerdem erwähnt Kepler „Eis und Schnee“. Auch hiermit scheint er nicht ganz falsch gelegen haben. So wird seit 1961 vermutet, dass es auf dem bisher als wasserlos geltenden Mond Eisvorkommen geben könnte, die in sogenannten Kältefallen (=extrem kalte Gebiete, die nie von der Sonne beschienen werden) liegen könnten. Dass Kepler schon in diese Richtung genaue Überlegungen angestellt hat, scheint aber sehr zweifelhaft. 
    So lag er mit seiner Beschreibung der „fortwährenden Wolken und Regengüsse“ und „Gewässer, die Ländermassen überschwemmen“ nicht richtig. Doch diese Annahme teilten lang Zeit viele Forscher. Dementsprechend wurden die dunklen Flächen auf dem Mond für Meere gehalten, woher auch der Name dieser Mondgebiete, „Mare“ (Meer), kommt. Die helleren Gebiete wurden somit als Kontinente/Land („Terrae“) angesehen.
  • Die Landschaft: 
    Keplers Äußerungen zur Mondlandschaft: „sehr hohe Berge, sehr tiefe und steile Thäler und steht so unserer Erde sehr viel in Bezug auf Rundung nach. Stellenweise ist es ganz porös und von Höhlen und Löchern allenthalb gleichsam durchbohrt“. Auch mit diesen Einschätzungen hat er seine
    MondlandschaftKompetenz unter Beweiß gestellt, denn: Zu den auf der Mondoberfläche erkennbaren Reliefformen gehören Krater, Gebirgszüge, Ebenen bzw. Maria (Plural von Mare), ferner Rillen, Verwerfungen, Ringgebirge, Dome (=kreisrunde Vulkankegel) und, ausgehend von einigen Kratern, Strahlensysteme. Der größte Krater, Baily, hat einen Durchmesser von rund 295 Kilometern und ist 3 960 Meter tief. Das größte „Meer” ist das Mare Imbrium (Regenmeer) mit einer Ausdehnung von etwa 1 200 Kilometern. Die höchsten Gebirge (Leibniz und Dörfel) liegen nahe dem Mondsüdpol und sind rund 6 100 Meter hoch.
  • Die biologischen Bedingungen:
    Hier stellte sich Keplers Phantasie als falsch heraus. Zwar war er sich dessen bewusst, dass sich auf dem Mond keine ähnlichen Lebensformen wie auf der Erde entwickeln können, aber dennoch glaubte er an dortige Lebewesen, die er eindrucksvoll beschreibt: „Dort haben alle Wesen übergroße Ausmaße: Das Wachstum geht schnellstens voran; das Leben dauert nur kurz, weil die Körper einfach zu riesig sind. [...] theils mit Beinen ausgerüstet, die länger sind als die unserer Kamele, theils mit Flügeln.Es gibt Wesen, die auf Bergesrücken zur Welt kommen, die aber, wenn auch selten, schon am Tag, an dem sie geboren werden, auch wieder sterben, während um sie herum der Geburtenstrom nie abreißt... Im allgemeinen verkörpern sie sich als Schlangen, sie erregen Verwunderung, wenn sie sich, fast genüsslich, der Mittagssonne aussetzen: Nie entfernen sie sich weit von den Eingängen ihrer Höhlen, damit sie sich gegebenenfalls umso schneller und sicherer zurückziehen können. Überall auf dem Boden verstreut finden sich Substanzen, die wie Pinienzapfen aussehen: Ist durch die große Hitze des Tages die äußere Rinde versengt, so entschlüpfen abends aus ihnen, als wollten sie ihr Geheimnis lüften, lebendige Geschöpfe." 
    Bemerkenswert aber ist, dass Kepler mit erstaunlicher ökologischer Einsicht die physikalischen Bedingungen des dortigen Lebens auf entsprechende Anpassungsformen übertrug.
  • Astronomisches:
    „Obwohl man auf Levania genau denselben Anblick des Fixsternhimmels hat, wie bei uns, so sieht man doch die Bewegungen und Größen der Planeten ganz anders, als sie uns erscheinen, so, dass dort eine von der unsrigen völlig abweichende Astronomie herrscht.“
  • Die Zeiteinteilung:
    Kepler stellte schon damals richtigerweise fest, dass ein „Mondtag“ und eine „Mondnacht“ zusammen einem „Erdmonat“ entsprechen. Entsprechend weiß man heute, dass eine Mondphase genau 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten und 2,8 Sekunden lang ist.


Alles in allem lässt sich eigentlich nur staunen über Keplers Genauigkeit und Richtigkeit, was sein Wissen über den natürlichen Satelliten der Erde anbelangte. Kepler beschrieb schon damals die Sichtweise, die ein Mondreisender haben wird und die in seinem Geiste existiert, so genau, wie sie Astronauten aus ihrer Raumkapsel kaum plastischer erblickten. Er nahm also um mehr als drei Jahrhunderte die Welt vorweg, in der wir heute leben.

Doch nicht nur unter dem Aspekt der Richtigkeit sollte man das Werk betrachten. Noch faszinierender und bedeutender ist eigentlich Keplers vorgenommener Perspektivwechsel. Er hat damit zu dieser Zeit einen ganz neuen Schritt gewagt, indem er das System Erde und ihr Sichtfeld, auf das sich bisher alles beschränkt hatte, verlassen und sich mit einem völlig neuen Standpunkt außerhalb dieses Systems ein neues Blickfeld eröffnet hat. Kepler bediente sich hier regelrecht revolutionärer Methoden.

So sagen auch britische Quellen: „Kepler's long-overlooked Somnium, one of the most important books in the history of science!”

 

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