II. Wie kam er auf die Musik?

Seine Überlegungen waren eine Anknüpfung an die griechische Harmonielehre des Pythagoras, die die Verhältnisse der Tonabstände zueinander beschreibt und gerade durch die Saiteninstrumente an Bedeutung gewinnt.

Teilt man sie 2/3 erhält man die Quinte. Die weltenbildenden Verhältnisse sind 1/2, 3/5, 5/8, 2/3, 3/4, 4/5, 5/6.

Jetzt beginnt Kepler mit seinen Rechnungen. Er begründet jeden Schritt den er tut entweder mit mathematischen Gesetzen oder auf seiner Logik basierenden Aussagen. Das Verhältnis 1/2 beschreibt er zum Beispiel so: 
„Ist nicht die Kreisteilung 1/2 die einfachste und ursprünglichste, wie auch das musikalische Intervall 1/2 die am meisten auffallende und ursprüngliche Oktav bildet?" 
Er spekuliert weiter: „So hat Gott nicht einmal die Töne ohne Geometrie in die Welt eingeführt."

„Diese Seele wird froh gestimmt, wenn sie harmonische Töne, übelgelaunt, wenn sie nichtharmonische Töne wahrnimmt. Von diesen seelischen Stimmungen rührt die Bezeichnung Konsonanzen für die harmonischen und die Bezeichnung Dissonanzen für die nichtharmonischen Proportionen her. Kommt dazu noch die weitere harmonische Proportion, die der zeitlichen Länge und Kürze der Töne und Stimmen, dann regt die Seele ihren Körper zu Tanzbewegungen, die Zunge zu beschwingter Rede nach den gleichen Gesetzen an… Alles lebt, solange die Harmonien dauern, alles erschlafft, wenn sie gestört sind.“

Auf dieser Grundlage baut Kepler seine Harmonielehre auf, indem er sie an einer Seite eines Monochords (eine gespannte Saite mit Resonanzkörper) untersucht. Er erkennt die Teilungen die Wohlklänge liefern. Und nach entsprechender Auswahl gelangt er zu 7 Intervallen („Die Zahl der harmonischen Teilungen einer Saite ist 7 und nicht größer.“), die auch die musikalischen Urharmonien darstellen, sie lassen sich alle auf urbildliche geometrische Formen zurückführen. Er entwickelt einen Harmonienstammbaum. 

Diese Intervalle: Oktav, Quint, Quart, große Terz, Kleine Terz, große Sext und kleine Sext beruhen alle auf sehr einfachen Zahlenverhältnissen, nämlich auf Schwingungsverhältnissen von 1:2, 2:3, 3:4, 4:5, 5:6, 5:8 und 3:5.

„Ein dissonantes Intervall wie der Tritonus (=übermäßige Quart) entspricht dem nicht so einfachen Verhältnis von 45:64.“

Als einen anderen Weg, um zu den Urharmonien zu gelangen, entwickelt Kepler eine aus sich selbst hervorgehende Ahnenreihe der harmonischen Teilung einer Saite, wie der harmonische Stammbaum zeigt. 
Die Zahlenverhältnisse (Brüche) 1/1, 1/2, 1/3, 2/3 usw. des Stammbaums geben an, wie eine Saite geteilt werden muss. 1/3 bedeutet dabei z.B., dass eine Saite in 1+3 = 4 gleiche Teile unterteilt wird. Es ergeben sich daraus 3 Schwingungsverhältnisse, nämlich das der Teile untereinander: 1 zu 3 (=1/3) und die Verhältnisse der Teile zum Ganzen: 1/4 und 3/4. Mit den entstehenden Verhältnissen 1/4 und 3/4 werden neue Teilungen der Saite möglich, die nach dem gleichen Prinzip weitergeführt werden bis eine 7er, 9er, 11er und 13er Teilung der Saite gefordert wird, die zum Abbruch der Reihe führt, da diese aufgrund Keplers Untersuchungen dissonant sind, weil ein 7-Eck, 9-Eck, 11-Eck und 13-Eck im Kreis nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist.

 
Prinzip der Entwicklung der Ableitung der sieben konsonanten Intervalle

Daraus ergeben sich innerhalb einer Oktav sieben konsonante Intervalle:

  • 1/2 Oktav
  • 2/3 Quint
  • 3/4 Quart
  • 3/5 große Sext
  • 4/5 große Terz
  • 5/6 kleine Terz
  • 5/8 kleine Sext


„Ich habe diese 7 Schnitte der Saite zuerst aus dem Gehör gefunden, also in einer Zahl, die gleich ist der Zahl der Harmonien innerhalb einer Oktav. Hernach habe ich die Ursachen nicht ohne große Mühe aus den tiefsten Gründen der Geometrie ermittelt.“

Dissonanzen in der Musik sind jedoch für Kepler nichts Schlechtes, sondern nur weniger zusammenklingende Proportionen:

„Was die erste und hauptsächlichste Würze des melodischen Gesangs anlangt, die Dissonanz, so darf diese nicht irgendeinem beliebigen unharmonischen Intervall entnommen werden, sondern nur den harmonischen Intervallen. 
Wenn ferner auch hervorragende Meister bisweilen von größeren Dissonanzen Gebrauch machen, so dass der dissonierende Ton um einen ganzen Ton sich von dem unterscheidet, der eine Konsonanz bilden würde, so geschieht das nur, um die mächtigsten Gemütsbewegungen auszudrücken oder hervorzurufen. Die gewöhnliche, mit Wohlgefallen verknüpfte und daher in gewisser Weise natürliche Dissonanz wird von dem Halbton gebildet. Die Ursache hiefür ist (damit das Ende dem Anfang entspricht) in den tiefsten Gründen der Geometrie zu suchen“


Fazit:

Nicht die Zahlen allein, sondern das menschliche Gehör legt die Grenze zwischen Dissonanz und Konsonanz fest. Aber: Konsonanzen haben sich in der Geometrie als das Verhältnis von konstruierbaren Kreisteilen zum ganzen Kreis erwiesen.

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